EUGH: Drittanbieter können Anspruch auf Integration in marktbeherrschende Betriebssysteme haben
Skip to main content
Insight

EUGH: Drittanbieter können Anspruch auf Integration in marktbeherrschende Betriebssysteme haben

Lea Josten
07/04/2025
A finger is about to touch a glowing tablet screen, with various hand-drawn icons floating above the screen. The icons include a heart, a location pin, WiFi symbol, cloud, music note, bell, envelope, thumbs-up, and play button. The background is dark.

Locations

Germany

Am 25. Februar 2025 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechte von Drittanbietern gestärkt, die ihre Apps mit den marktbeherrschenden Betriebssystemen der großen Softwarekonzerne verknüpfen wollen. Durch das Urteil zum Fall JuicePass könnte der italienische Elektoautoladestation-App-Anbieter Enel unter Umständen einen Anspruch darauf haben, in das Betriebssystem Android Auto integriert zu werden – und zwar selbst dann, wenn die Verknüpfung für das Funktionieren der App nicht notwendig ist, sondern die Anwendung schlicht attraktiver für Endnutzer macht.
 

Der Fall JuicePass

Bereits 2018 führte das Unternehmen Enel S.p.A. (Enel) in Italien die App namens JuicePass ein, mit der Nutzer von Elektrofahrzeugen Ladestationen finden und buchen können. Zur besseren Bedienbarkeit und Navigation habe Enel das Unternehmen Alphabet Inc. bzw. Google LLC (Google) gebeten, die App mit dem von Google angebotenen System Android Auto kompatibel zu machen. Android Auto ist ein Betriebssystem, das den Zugriff auf Android-Smartphone-Apps über den Fahrzeug-Bordbildschirm ermöglicht. Grundsätzlich können Drittentwickler ihre Apps mittels von Google bereitgestellter Schnittstellen sog. "Templates" an Android Auto anpassen und dort integrieren.

Die Bereitstellung einer solchen Schnittstelle für Enels JuicePass-App lehnte Google jedoch ab. Google berief sich zunächst darauf, dass überhaupt nur Multimedia- und Messaging-Apps kompatibel seien, später führte das Unternehmen dann Sicherheitsbedenken sowie begrenzte Ressourcen als Grund für die Ablehnung der Kooperation an. Im Jahre 2019 wandte sich Enel mit diesem Fall an die italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (AGCM). Enel war der Ansicht, dass das Verhalten von Google – das in einer ungerechtfertigten Weigerung bestanden habe, die Benutzung der Anwendung JuicePass über Android Auto zu ermöglichen – einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und damit einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstelle.



Fieldfisher-Tech-InsightWas sind "Templates"?

Um die Interoperabilität einer Drittanbieter-Anwendung mit (z.B.) Android Auto zu gewährleisten und gleichzeitig zu vermeiden, dass zu diesem Zweck langwierige und kostspielige Tests durchgeführt werden, bietet Google Interoperabilitätslösungen für alle Kategorien von Anwendungen in Form von Modellen an. Diese sogenannten Templates ermöglichen es Dritten, Versionen ihrer eigenen Anwendungen zu erstellen, die mit Android Auto kompatibel sind.

Um den im vorliegenden Fall relevanten Bedürfnissen der Nutzer von Navigationsanwendungen gerecht zu werden, entwickelte und erwarb Google auch Kartografie- und Navigationsanwendungen (Google Maps und Waze), die mit Android Auto kompatibel sind. Darüber hinaus erlaubte Google in einigen Fällen Drittentwicklern, eigenständig personalisierte Anwendungen, ohne ein im Voraus festgelegtes Template zu entwickeln.


Die italienische Wettbewerbsbehörde AGCM sah in Googles Verhalten einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und verhängte als Konsequenz eine Geldbuße von über EUR 102 Mio. Zudem gab die AGCM dem Unternehmen Google auf, eine endgültige Version von Templates für die Entwicklung von Ladeanwendungen für Elektrofahrzeuge zu veröffentlichen und in dieser Version möglicherweise fehlende Funktionen, die Enel für JuicePass als wesentlich angegeben hatte, zu entwickeln. Dagegen klagte Google vor einem italienischen Gericht, das den EuGH um rechtliche Einschätzung durch Vorabentscheidung ersuchte.
 

Das Urteil des EuGH

Der Europäische Gerichtshof teilte die Rechtsansicht der italienischen Wettbewerbsbehörde.  Die Weigerung eines Unternehmens mit beherrschender Stellung, das eine digitale Plattform entwickelt hat und die den Zweck hat, die Interoperabilität dieser Plattform mit einer von einem Drittunternehmen entwickelten App zu gewährleisten, könne einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. Es bestehe auch keine Beschränkung dahingehend, dass die Plattform für die Ausübung der Tätigkeit des Zugangsersuchenden unerlässlich sei (so entschied der EuGH 1998 noch in einer anderen, aber ähnlichen Konstellation). Ein Missbrauch könne vielmehr auch vorliegen, wenn ein Unternehmen die Plattform nicht ausschließlich für die Zwecke seiner eigenen Tätigkeit, sondern gerade auch mit dem Ziel entwickelt habe, um ihre Nutzung durch Drittunternehmen zu ermöglichen, und wenn diese Plattform für die kommerzielle Nutzung einer von einem Drittunternehmen entwickelten App zwar nicht unerlässlich, aber geeignet sei, diese App für die Verbraucher attraktiver zu machen.
 

Anspruch auf Interoperabilität besteht nicht uneingeschränkt

Der EuGH hat marktbeherrschenden Unternehmen die Verpflichtung, eine Schnittstelle für Drittanbieter-Apps zur Verfügung zu stellen, allerdings nicht uneingeschränkt anerkannt. Eine Weigerung der Gewährleistung der Interoperabilität einer App mit einer digitalen Plattform, falls noch kein Template bestehe, sei dann gerechtfertigt, wenn

  1. die Gewährung einer solchen Interoperabilität die Integrität dieser Plattform oder die Sicherheit ihrer Nutzung gefährden würde oder
  2. es aus anderen technischen Gründen unmöglich wäre, die Interoperabilität durch die Entwicklung dieses Templates zu gewährleisten.

Ohne das Vorliegen der genannten Rechtfertigungen müsse ein solches Template innerhalb eines angemessenen Zeitraums entwickelt werden. Hierfür dürfte das Unternehmen auch gegebenenfalls eine angemessene finanzielle Gegenleistung verlangen. Dabei seien die Bedürfnisse des Drittunternehmens, das um diese Entwicklung ersucht hat, die tatsächlichen Kosten dieser Entwicklung und das Recht des Unternehmens in beherrschender Stellung, daraus einen angemessenen Nutzen zu erzielen, zu berücksichtigen.
 

Einschätzung und Praxishinweise

Zwar hat Google hat Oktober 2020 ein Template für die Entwicklung experimenteller Versionen von Ladeanwendungen für Elektrofahrzeuge, die mit Android Auto kompatibel sind, veröffentlicht. Die Dimension dieses Urteils ist allerdings dennoch als bedeutend einzuschätzen: Google hat die Dienste Android Auto und Google Maps nicht ausschließlich für die Zwecke seiner eigenen Tätigkeiten, sondern gerade auch mit dem Ziel entwickelt, eine Nutzung dieser Dienste durch Drittunternehmen zu ermöglichen. Aus dieser Ausrichtung der Dienste und der vorliegenden marktbeherrschenden Stellung resultiert die Pflicht, die Integration prinzipiell aller grundsätzlich sicheren und kompatiblen Drittanbieter-Apps mit seinem Betriebssystem zu gewährleisten.

Mit anderen Worten gilt: Wer ein Betriebssystem schafft, das gerade darauf ausgerichtet ist, auch Drittanbieter-Applikationen zu integrieren und diese Integration verweigert, kann missbräuchlich und folglich rechtswidrig handeln. Und das, obwohl der Drittanbieter das Betriebssystem möglicherweise gar nicht zwingend benötigt, sondern nur um noch mehr Kunden anzusprechen und für diese eine bessere Nutzererfahrung bieten zu können.
 

Links

Pressemitteilung des EuGH vom 25. Februar 2025

Urteil des EuGH vom 25. Februar 2025 (C-233/23)

Urteil des EuGH vom 26. November 1998 (C-7/97)

Verwandte Arbeitsbereiche

Technologie