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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich kürzlich mit der Zulässigkeit der gebündelten Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen durch Rechtsdienstleister wie Inkassogesellschaften beschäftigt. Bislang legten einige nationale Gerichte die deutschen Rechtsvorschriften so aus, dass eine Sammelklage-Inkasso im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht unzulässig sei. Der EuGH urteilte nun gegensätzlich: Eine nationale Regelung, die ein Sammelklage-Inkasso ausschließt, kann gegen das Unionsrecht verstoßen, wenn keine alternativen (kollektiven) Rechtsbehelfe existieren und Individualklagen sich als übermäßig schwierig darstellen.
Hintergrund: Inkasso im Gerichtsprozess
Hintergrund dieser in Frage stehenden Konstellation ist, dass für einzelne Personen oder kleine Unternehmen die Rechtsdurchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen oftmals zu aufwändig und/oder teuer ist. Die Möglichkeit, Ansprüche gemeinsam mit mehreren Betroffenen gebündelt durchzusetzen, ist daher in manchen Fällen der einzige Weg, um Ansprüche (überhaupt) wirksam durchsetzen zu können.
In der Praxis bedeutet das, dass einem externen Inkassodienstleister die einzelnen Schadensersatzforderungen – typischeres im Gegenzug für eine Erfolgsbeteiligung – treuhänderisch abgetreten werden. Der Inkassodienstleister tritt dann im Anschluss an ein abgeschlossenes Kartellbußgeldverfahren gegen die Kartellanten gesammelt für die Geschädigten auf (sog. follow-on-Klagen). Dieses Vorgehen wurde allerdings im Bereich des Kartell- und Wettbewerbsrecht von einigen deutschen Gerichten unter Heranziehung des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen für unzulässig erklärt.
Mit Beschluss vom 13. März 2023 hat das LG Dortmund ein Verfahren von 32 gesammelt gegen das Land NRW klagenden Sägewerken ausgesetzt, um dem EuGH insbesondere die Frage vorzulegen, ob das Europarecht der Auslegung und Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, durch die dem Geschädigten eines Kartells die Möglichkeit einer follow-on-Klage durch einen solchen Inkassodienstleister verwehrt wird.
Das Urteil des EuGH: Sammelklagen müssen möglich sein
Nach dem neuen Urteil des EuGH gebiete es das Unionsrecht, dass eine Sammelklage zur Beitreibung von Forderungen im Kontext von Kartellschadensersatz möglich sein müsse. Eine hiervon divergierende nationale Vorschrift verstoße gegen das Unionsrecht. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn das nationale Recht keine anderen kollektiven Rechtsmittel vorsähe, um Einzelklagen von Kartellgeschädigten zu bündeln und wenn es zugleich kaum möglich sei, eine Einzelklage zu erheben. Nach dem Unionsrecht könne nämlich ausdrücklich jede Person Schadensersatz für Schäden verlangen, die durch einen Verstoß gegen das Kartellrecht entstanden sind. Eine Schadensersatzklage könne insoweit entweder unmittelbar durch den Geschädigten oder durch einen Dritten, dem das Recht übertragen wurde, erhoben werden; und damit auch einem Inkassodienstleister.
In der Sache sei es zudem Aufgabe des deutschen Gerichts zu prüfen, ob die Auslegung des nationalen Rechtes dem Effektivitätsgrundsatz genügt. Sollte das Gericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass
a) das deutsche Recht keine anderen kollektive Rechtsbehelfe vorsieht, die die wirksame Durchsetzung des Rechtes auf Schadensersatz gewährleisten kann, und
b) eine Einzelklage die Ausübung dieses Rechtes unmöglich oder übermäßig schwierig gestaltet und damit keinen effektiven Rechtsschutz zulässt,
sei das deutsche Gericht verpflichtet, einen Verstoß gegen das Unionsrecht festzustellen.
In der Praxis bedeutet das Urteil des EuGH für das LG Dortmund, dass es versuchen muss, die nationalen Bestimmungen unionrechtskonform auszulegen. Sollte sich das als unmöglich erweisen, hätte das deutsche Gericht die nationalen Bestimmungen, die ein Sammelklage-Inkasso für die fraglichen individuellen Schadensersatzforderungen ausschließen, unangewendet zu lassen.
Kommentar
Mit seiner Entscheidung bringt der EuGH Licht ins Dunkel in Bezug auf die bis zuletzt uneinheitlich beantwortete Frage der gebündelten Forderungsdurchsetzung von Kartellschadensersatzforderungen.
Kritiker befürchten, gesammelte Inkasso-Prozesse könnten die individuelle Rechtsdurchsetzung entpersönlichen und zu einer standardisierten „Fließbandjustiz“ führen, bei der spezifische Umstände einzelner Fälle unzureichend berücksichtigt werden würden. Zudem bestünde die Gefahr, dass Masseverfahren zu einer Überlastung der Justiz führen könnten und anwaltliche und kommerzielle Interessen in den Vordergrund rücken, während die individuelle Betroffenheit der Kläger in den Hintergrund trete.
Aus Rechtsanwendersicht ist das Urteil jedoch begrüßenswert: Die Möglichkeit der gesammelten Geltendmachung solcher Ansprüche erweist sich nicht selten als einzige finanziell vernünftige Konstellation, um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit wettbewerbsschädigendem Verhalten einzufordern.
Weiterführende Links
Urteil des EuGH vom 28. Januar 2025 – C‑253/23
Pressemitteilung des EuGH vom 28. Januar 2025
Beschluss des LG Dortmund vom 13.03.2023– 8 O 7/20 (Kart)