Transaktionssicherheit einer nicht anmeldepflichtigen Fusion: Prüfung als Kartellrechtsverstoß in den Niederlanden
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Transaktionssicherheit einer nicht anmeldepflichtigen Fusion: Prüfung als Kartellrechtsverstoß in den Niederlanden

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Germany

Die niederländische Wettbewerbsbehörde Autoriteit Consument & Markt (ACM) hat am 7. März 2025 bekannt gegeben, dass sie eine Untersuchung zur Übernahme des niederländischen Sitzes des deutschen Bargeldtransportunternehmens Ziemann durch den Konkurrenten Brink's eingeleitet hat. Beide Unternehmen transportieren Bargeld, etwa zu Geldautomaten und stationären Geschäften, im Auftrag von Banken und Einzelhändlern.

Hintergrund

Bereits vor Einleitung der nun laufenden Untersuchung bestanden seitens der ACM erhebliche Wettbewerbsbedenken aufgrund der begrenzten Zahl an Marktteilnehmern sowie der starken Marktstellung des Erwerberunternehmens Brink’s.

Brink's ist Teil einer weltweit operierenden Gruppe und stellt das mit Abstand größte Bargeldtransportunternehmen in den Niederlanden dar. Durch die Übernahme von Brink' wird Ziemann den niederländischen Markt verlassen, was die Wettbewerbsbedenken der ACM weiter verstärke. Mangelnder Wettbewerb führe in der Regel zu höheren Preisen, schlechteren Dienstleistungen und weniger Innovation.

Brink's erklärte, dass eine vorherige Anmeldung der Übernahme bei der ACM nicht erforderlich gewesen sei, da die hierfür erforderlichen Umsatzschwellenwerte nicht erreicht wurden.

Angesichts der Wettbewerbsbedenken werde die ACM jedoch nachträglich untersuchen, ob die Wettbewerbsvorschriften verletzt wurden, insbesondere das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Laut der niederländischen Wettbewerbsbehörde könnten auch Zusammenschlüsse, die unterhalb der Anmeldeschwellen liegen, negative Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen in den Niederlanden haben. Beispielsweise, wenn ein bereits dominierendes Unternehmen einen kleineren, aufstrebenden Konkurrenten kaufe (sog. Killer-Akquisition) oder wenn der Wettbewerb auf lokaler Ebene oder in Nischenmärkten stattfände. Die daraus resultierende Marktmacht führe zu höheren Preisen, geringerer Qualität und weniger Innovation.

Daher befürworte die ACM auch die Einführung einer "Call-in-Befugnis", das heißt die präventive Zuständigkeit für die Überprüfung von Unternehmenszusammenschlüssen aufgrund anderer Faktoren als dem Überschreiten der betreffenden Umsatzschwellenwerte (näher dazu unser Newsletter: Call-in-Rechte: Eine Befugnis auf dem Scheideweg zwischen flexibler Kontrolle und Rechts(un)sicherheit). Das wiederum bedeute nicht, dass die Behörde in Zukunft über alle kleineren Zusammenschlüsse informiert werden müsse, sondern nur über solche, die nach erster Einschätzung problematisch für Unternehmen und Verbraucher in den Niederlanden sein könnten. Die ACM könne diese Übernahmen dann auf übliche Weise prüfen oder sie an die Europäische Kommission verweisen, wenn sich die Auswirkungen einer Übernahme auf europäischer Ebene zeigen.
 

Die Towercast-Rechtsprechung

Das eingeleitete Verfahren der ACM folgt der aktuellen Stoßrichtung europäischer Wettbewerbsbehörden, ihre Zuständigkeit für die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen zu stärken.

In den Niederlanden gibt es im Gegensatz zu einigen anderen Ländern noch keine gesetzlich normierte Call-in-Befugnis zur Prüfung von Zusammenschlüssen unterhalb der Anmeldeschwellen. Insofern kann die ACM den Unternehmenszusammenschluss von Ziemann und Brink's nur nachträgliche im Sinne einer möglichen Verletzung des Wettbewerbs, wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV untersuchen.

Die Möglichkeit Unternehmenszusammenschlüsse, die nicht anmeldepflichtig sind, als Wettbewerbsverstoß unter dem europäischen Missbrauchsverbot zu überprüfen, wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in dem Urteil Towercast (Az. C‑449/21) vom 16. März 2023 bestätigt. Der EuGH entschied, dass Unternehmenszusammenschlüsse, die die festgelegten Umsatzschwellen für die Fusionskontrolle auf nationaler und europäischer Ebene nicht erreichen, einer nachträglichen Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV unterzogen werden können. Erforderlich sei die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, dergestalt, dass ein Abhängigkeitsverhältnis verbleibender Marktteilnehmer von dem strukturell überlegenen Unternehmen entsteht. Offen ließ die Entscheidung Fragen danach, wie lange schon vollzogene Unternehmenstransaktionen ex-post geprüft werden können und welche konkreten rechtlichen Folgen die Feststellung eines Verstoßes nach sich zieht. Auch das genaue Verhältnis zwischen präventiver Prüfung einer Anmeldepflicht und nachträglicher Kontrolle wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ist durch das Urteil nicht abschließend geklärt.

Wendet man die aufgestellten Kriterien auf die Übernahme Ziemanns durch Brink's an, muss die ACM nachweisen, dass ein schon zuvor marktdominierendes Unternehmen, die marktbeherrschende Position durch die Übernahme eines Mittelständlers verstärkt hat und dadurch neue perpetuierte Abhängigkeitsverhältnisse der verbleibenden Wettbewerber auf dem relevanten Markt geschaffen wurden. Dass die Unternehmensgröße des Targets hier nicht die entscheidende Rolle spielen könnte, wäre ein wichtige Weichenstellung für die Praxis.
 

Kommentar

Für Unternehmen bedeutet diese Entwicklung eine verringerte Transaktionssicherheit, denn sie müssen für nicht anmeldepflichtige Zusammenschlüsse befürchten, dass die Behörden Transaktionen nachträglich auf dem geschilderten Weg angreifen. Im Sinne unternehmerischer Transaktionssicherheit bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung die offenen Fragen in Bezug auf die nachträgliche Kontrollmöglichkeit nach Art. 102 AEUV bald beantwortet und auch das Bundeskartellamt sich zu der nachträglichen Überprüfung von Transaktionen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung positioniert.

 

Weiterführende Links

Call-in-Rechte: Eine Befugnis auf dem Scheideweg zwischen flexibler Kontrolle und Rechts(un)sicherheit

ACM launches investigation into acquisition of cash-in-transit company Ziemann by rival company Brink’s

EuGH-Urteil vom 16.03.2023 – C‑449/21: "Towercast"

 

Spezialgebiete

Kartellrecht