Effektivitätsgrundsatz erfordert Verjährungsbeginn von Kartellschadensersatz-ansprüchen erst mit rechtskräftiger Behördenentscheidung über den
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Effektivitätsgrundsatz erfordert Verjährungsbeginn von Kartellschadensersatz-ansprüchen erst mit rechtskräftiger Behördenentscheidung über den

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Im Rahmen eines durch das spanische Handelsgericht initiierten Vorabentscheidungsverfahrens entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), ob es für den Verjährungsbeginn bei Schadensersatzklagen von Kartellgeschädigten auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung oder die Rechtskraft der Entscheidung der nationalen Kartellbehörden ankommt. In dieser Entscheidung vom 04. September 2025 stellt der der EuGH fest: Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass Kartellgeschädigte ausreichend Kenntnis von den für eine effektive Rechtsdurchsetzung erforderlichen Informationen haben, bevor die behördliche Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Insoweit ist dieser Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung entscheidend.
 

Der Fall CP ./. Nissan Iberia SA

Im Jahr 2015 stellte die spanische Wettbewerbsbehörde Comisión Nacional de los Mercados y la Competenica (CNMC) fest, dass mehrere Automobilunternehmen – darunter Nissan Iberia SA (Nissan) – gegen Art. 101 AEUV und das spanische Wettbewerbsrecht verstoßen hatten. Konkret ging es um einen systematischen Austausch wettbewerbssensibler Informationen zwischen Herstellern, die den Wettbewerb im spanischen Automobilmarkt verfälschten. Das wettbewerbswidrige Verhalten endete 2013, die CNMC verhängte daraufhin am 23. Juli 2015 eine Sanktion und veröffentlichte am 15. September 2015 die vollständige Entscheidung auf ihrer Website, nachdem zuvor bereits eine Pressemitteilung zu dem behördlich festgestellten Wettbewerbsverstoß erging. Nissan und andere Hersteller fochten die Entscheidung der CNMC gerichtlich an. Sie wurde jedoch 2021 durch den Obersten Spanischen Gerichtshof (Tribunal Supremo) endgültig bestätigt.

Die Klägerin C.P. Company (CP) hatte während des Kartellzeitraums ein Fahrzeug von Nissan erworben und machte geltend, sie habe dafür einen überhöhten Preis gezahlt, der durch die wettbewerbswidrige Absprache beeinflusst worden sei. Auf Grundlage der Entscheidung der CNMC erhob CP im März 2023 eine Schadensersatzklage gegen Nissan. Nissan war der Auffassung, der Anspruch sei verjährt: Die fünf-jährige Verjährungsfrist habe bereits 2015 mit der Veröffentlichung der Entscheidung durch die CNMC zu laufen begonnen, sodass die Klage spätestens 2020 hätte erhoben werden müssen. Das vorlegende Gericht in Saragossa zweifelte daran, ob seine nationale Rechtsauslegung mit Art. 101 AEUV, dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und der Kartellschadensersatz-Richtlinie aus 2014 vereinbar ist, und rief den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an.
 

Argumentation des EuGH

Der EuGH betont, dass nationale Vorschriften zur Verjährung nicht die effektive Durchsetzung des Unionsrechts behindern dürfen. Er hebt in seiner Urteilsbegründung zunächst die allgemeine Funktion von Verjährungsfristen hervor: Sie sollen einerseits den Schädiger vor einer unbegrenzten Inanspruchnahme bewahren (Rechtssicherheit), andererseits aber auch den Geschädigten schützen, indem ihm ausreichend Zeit bleibt, die für eine Klage notwendigen Informationen zu sammeln (effektiver Rechtsschutz). In Kartellverfahren beginnt die Verjährungsfrist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung erst zu laufen, wenn eine wettbewerbsrechtliche Zuwiderhandlung beendet ist und der Geschädigte Kenntnis von den für eine Klage wesentlichen Informationen – insbesondere Art und Dauer des Verstoßes, Schadensausmaß und der Identität der Kartellanten – erlangt hat.

Diese Kenntnis liegt nach Auffassung des EuGH erst vor, wenn die Entscheidung über den Wettbewerbsverstoß rechtskräftig ist. Insoweit knüpft der EuGH den Beginn der Verjährung an die Rechtskraft der behördlichen Entscheidung (vgl. Art. 9 Kartellschadensersatz-RL aus 2014). Soweit das nationale Recht aber – wie im hiesigen Fall – vorsieht, dass das Gericht an die Feststellungen über den Wettbewerbsverstoß erst mit Rechtsraft der Behördenentscheidung gebunden ist, kann auch nur dieser Zeitpunkt den Beginn der Verjährung markieren. Auch die Möglichkeit einer Aussetzung des Zivilverfahrens genüge nicht, um zu einem früheren Zeitpunkt effektiven Rechtsschutz zu garantieren, da eine Aussetzung denknotwendig voraussetzt, dass die Klage rechtzeitig vor Ablauf der Frist erhoben wird und der Kartellschadensersatzkläger durch die Aussetzung immer noch keine Sicherheit hinsichtlich des "Ob" der Klageerhebung, wegen eines verbindlich festgestellten Wettbewerbsverstoßes hat. Bei Entscheidungen der Kommission stellt sich diese Frage nicht, denn diese sind für die nationalen Gerichte stets bindend.

Der EuGH kommt mithin zu dem Ergebnis, dass die Verjährungsfrist erst mit Eintritt der Rechtskraft einer behördlichen Wettbewerbsentscheidung beginnen kann, wobei auch deren ordnungsgemäße Veröffentlichung gewährleistet sein muss. Im konkreten Fall war die CNMC-Entscheidung erst 2021 durch den Tribunal Supremo rechtskräftig bestätigt worden, sodass der Anspruch von CP im Jahr 2023 nicht verjährt war.
 

Praktische Einordnung

Das Kartellschadensersatzrecht ist ein in dynamischer Entwicklung befindliches Rechtsgebiet. Entscheidungen wie die vorliegend besprochene zeigen, dass der EuGH sich auch weiterhin mit den Grundlagen – wie hier, dem Beginn der Verjährungsfrist – zu beschäftigen hat. Nach der Heureka-Entscheidung des EuGH, ist hiermit eine weitere wichtige Entscheidung ergangen, die den Maßstab für den Beginn der Verjährung im Kartellschadensersatzrecht verdichtet. In Deutschland gibt es nicht zuletzt mit dem jüngsten, sechsten Leiturteil in Sachen "LKW-Kartell" auch seitens des BGH für die Praxis immer mehr Anleitung, wie ein Kartellschadensersatz rechtskonform einzuklagen ist.
 

Links

EuGH, Urteil vom 4. September 2025 – C-21/24 (CP ./. Nissan Iberia SA)

EuGH, Urteil vom 18.04.2025 – C-605/21 (Heureka)

BGH, Urteil vom 08.04.2025 - KZR 71/23 ( Lkw-Kartell VI)

Spezialgebiete

Kartellrecht