Locations
Die Europäische Kommission (Kommission) führt derzeit Untersuchungen über mögliche Kartellverstöße auf den Arbeitsmärkten (no poach) durch und hat die aktive Durchsetzung sowie die europäische Koordinierung dieser Zuwiderhandlungen als Ziel bestimmt. Im November letzten Jahres durchsuchte sie Unternehmen im Bereich der Online-Bestellung und -Lieferung von Lebensmitteln in Deutschland und Spanien. Auch im November diesen Jahres führte die Kommission solche unangekündigten Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Rechenzentrumsbetreibern durch. In diesem Zusammenhang gab die Kommission im Mai diesen Jahres einen policy brief zu no poach-Vereinbarungen auf den Arbeitsmärkten heraus.
Dabei werden in der Praxis nach einem Bericht der WirtschaftsWoche derartige heimliche Absprachen immer noch recht häufig getroffen. Die Handelnden haben dabei oft kein Problembewusstsein und glauben, einfach nur "fair" zu handeln.
In diesem Überblick wird beschrieben, wie solche Vereinbarungen nach dem EU-Wettbewerbsrecht behandelt werden. Absichten der Unternehmen, den Talentwettbewerb einzuschränken oder zu verzerren, die Gehälter niedrig zu halten oder einen Wettbewerber am Markteintritt durch die Erhöhung von Einstellungskosten für erforderliche Talente zu hindern, stellen nach dem policy brief Beweise dafür dar, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliege. Die Durchsetzung des Verbots von restriktiven Arbeitsvereinbarungen sei für Wettbewerbsbehörden weltweit prioritär.
Rechtliche Einordnung
Vereinbarungen im Personalbereich können sowohl arbeitsrechtliche als auch kartellrechtliche Risiken mit sich bringen. Aus kartellrechtlicher Sicht besteht im Personalbereich die Besonderheit, dass Unternehmen als Wettbewerber zu qualifizieren sind, sobald diese um Arbeitskräfte konkurrieren. Insofern ist kein Konkurrenzverhältnis auf einem Produktmarkt erforderlich, damit ein Wettbewerbsverhältnis angenommen wird.
Hinzukommt nach dem im Mai diesen Jahres von der Kommission veröffentlichten policy brief, dass Arbeitsmärkte nach einer OECD Studie in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten mäßig bis stark konzentriert seien und die Gefahr bestehe, dass solche Vereinbarungen die Marktmacht von Unternehmen verstärkten und den Arbeitnehmern schaden könnten. Der Faktor Arbeit stelle einen grundlegenden Produktionsfaktor und die Fähigkeit, Talente anzuwerben, einen entscheidenden Wettbewerbsparameter dar.
Formen von no poach-Vereinbarungen und deren arbeitsrechtliche Risiken
Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt treten in unterschiedlichen Formen, als Gehaltsabsprachen, Nichtanstellungsvereinbarungen oder als Abwerbeverbote auf. Hinzukommt der Austausch über sensible Informationen des Personalwesens.
Gehaltsabsprachen
Bei sog. Gehaltsabsprachen einigen sich Unternehmen darauf, welche Gehälter oder Gehaltsbestandteile Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen gezahlt werden oder legen Maximalbeträge fest. Dadurch verhindern sie, dass Arbeitnehmer wegen besserer Gehälter zur Konkurrenz wechseln. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies eine Einschränkung der finanziellen Karrierechancen und verringert unter anderem die Anreize, den Arbeitsplatz oder Arbeitgeber zu wechseln.
Kartellrechtlich stellen diese Gehaltsabsprachen nach dem policy brief eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung als eine Form der Einkaufspreisfestsetzung gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV und demnach den folgenreichsten Kartellrechtsverstoß dar. Liegt eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vor, erübrigt sich grundsätzlich eine Prüfung der Auswirkungen, da diese ihrem Wesen nach als schädlich für das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbs angesehen werden können. Zwar seien etwaige wettbewerbsfördernde Auswirkungen dennoch zu berücksichtigen, diese müssen allerdings nachgewiesen, relevant und spezifisch mit der betreffenden Vereinbarung verbunden sowie hinreichend bedeutend sein. Dies sei insbesondere im Rahmen von Gehaltsabsprachen, für Unternehmen schwer zu argumentieren.
Nichtanstellungsvereinbarungen
In einer sog. Nichtanstellungsvereinbarung verpflichten sich Unternehmen gegenseitig, keine Arbeitnehmer des anderen Unternehmens einzustellen. In der Folge kann für den betroffenen Arbeitnehmer der Wechsel des Arbeitsplatzes erheblich erschwert und damit die Möglichkeit einer Veränderung oder Verbesserung seiner beruflichen Position stark beeinträchtigt sein.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht werden derartige Nichtanstellungsvereinbarungen national rechtlich insbesondere von § 75f HGB erfasst. Diese Vorschrift erstreckt sich auf jede denkbare Art einer Vereinbarung, die zumindest auf die Erschwerung der Anstellung eines Arbeitnehmers von einer anderen Vertragspartei gerichtet ist. Aus der Vorschrift folgt, dass die getroffene Vereinbarung für keine Vertragspartei bindend ist; insbesondere steht den Parteien stets der Rücktritt frei. Einer freiwilligen Erfüllung der Vereinbarung durch die Vertragsparteien steht dies aber nicht entgegen. Allerdings können daraus Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber und dessen Vertragspartner resultieren.
Aus kartellrechtlicher Sicht verfolgen Vereinbarungen über Nichtanstellungen das Ziel, Arbeitnehmer daran zu hindern, frei zwischen konkurrierenden Arbeitgebern zu wechseln und verursachten wirtschaftliche Schäden für die Arbeitnehmer und die Marktstruktur. Daher seien diese als eine Form der Aufteilung des Beschaffungsmarktes nach Art. 101 AEUV einzuordnen.
Abwerbeverbotsvereinbarungen
In einer sog. Abwerbeverbotsvereinbarung verständigen sich Unternehmen darauf, keine aktiven Versuche zu unternehmen, Arbeitnehmer voneinander abzuwerben. Insbesondere bei Führungskräften spielt dies eine bedeutende Rolle, da die Konkurrenz zwischen Arbeitgebern üblicherweise die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer fördert. Durch Abwerbeverbote wird diese Konkurrenz umfassend eingeschränkt.
Der BGH hat entschieden, dass derartige Abwerbeverbote grundsätzlich ebenfalls dem Anwendungsbereich des § 75f HGB unterfallen und demnach nicht durchsetzbar sind.
Nach dem policy brief verfolgen Vereinbarungen über Abwerbeverbote ebenfalls das Ziel, Arbeitnehmer daran zu hindern, frei zwischen konkurrierenden Arbeitgebern zu wechseln und verursachten wirtschaftliche Schäden für die Arbeitnehmer und die Marktstruktur und können demnach auch kartellrechtlich verbotene Verhaltensweisen darstellen. Wettbewerbsfördernde Auswirkungen bestünden auch nicht in der Argumentation von Unternehmen, dass Anreize in die Ausbildung ihrer Arbeitnehmer geschützt werden müssten, ohne befürchten zu müssen, Arbeitnehmer an Konkurrenten zu verlieren (sog. "Investitionsstau"). Zwar könnten Abwerbeverbote tatsächlich die Anreize der Arbeitgeber für Investitionen in die unternehmensspezifische Ausbildung oder die Forschung und Entwicklung verstärken. Gleichzeitig könnten aber auch Anreize der Arbeitnehmer sinken, in ihre eigene allgemeine Ausbildung zu investieren. Ebenso ungeeignet sei das Vorbringen, Arbeitnehmer könnten die nicht patentgeschützten Rechte des geistigen Eigentums der Unternehmen, wie z.B. Geschäftsgeheimnisse, mit zur Konkurrenz nehmen.
Grund hierfür sei, dass Abwerbeverbote als Kartelle ausdrücklich verboten und zudem dasselbe Ziel mit Mitteln erreicht werden könne, die nicht oder weniger problematisch sind, wie z. B. Geheimhaltungsvereinbarungen, die Verpflichtung, für eine bestimmte Mindestdauer bei einem Arbeitgeber zu bleiben, die Rückzahlung anteiliger Ausbildungskosten, Freistellungen oder Wettbewerbsverbote. Diese Mittel zum Schutz der Investitionen des Arbeitgebers seien weniger restriktiv, da sie im Gegensatz zu Abwerbeverboten für die Arbeitnehmer transparent sind und diese zumindest eine angemessene Entschädigung verlangen könnten.
Den Arbeitnehmern auferlegte Wettbewerbsverbote fallen im Allgemeinen nicht unter das Kartellverbot, da sie keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen sind. Im arbeitsrechtlichen Kontext unterliegen Arbeitnehmer, während des Bestands des Arbeitsverhältnisses auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung grundsätzlich einem umfassenden Wettbewerbsverbot, dass sich aus der Anwendung der §§ 60, 61 HGB ergibt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegen diese demgegenüber grundsätzlich keinem Wettbewerbsverbot mehr. Eine Ausnahme besteht nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine andere Vereinbarung treffen (§ 110 GewO). Für das vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot gelten die §§ 74, 75 f. HGB entsprechend. Die gesetzlichen Vorschriften und auch die Rechtsprechung stellen jedoch hohe Hürden für ein wirksam vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot auf. Unter anderem zum Beispiel die Aufnahme einer Karenzentschädigung in Höhe von mindestens 50 % der zuletzt bezogenen Vergütung.
Informationsaustausch
Ein Informationsaustausch zwischen Unternehmen kann ebenfalls Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben, insbesondere wenn der Austausch sensible Informationen betrifft. Im Personalwesen zählen hierzu insbesondere die Höhe von Gehältern und Gehaltsbestandteilen, geplante Einstellungszahlen, Vertragsinhalte, Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche, Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge und Sondervergütungen sowie andere marktrelevante personalbezogene Informationen. Aus kartellrechtlicher Sicht kann ein Austausch über wettbewerbsrelevante Parameter mit dem Ziel, die Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten des Konkurrenten auszuräumen, eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sofern die Abstimmung ursächlich für ein entsprechendes Marktverhalten ist. Hierbei besteht jedoch ein Erfahrungssatz, dass ein Unternehmen diese Kenntnisse über beabsichtigtes oder erwogenes Marktverhalten von Wettbewerbern in seinem eigenen Marktverhalten berücksichtigt.
Ausnahme: Tarifvertragsrecht
Das Kartellrecht ist grundsätzlich in allen Unternehmensbereichen einzuhalten. Eine bedeutende Ausnahme von diesem Grundsatz bildet jedoch das Tarifvertragsrecht. Nach dem deutschen Tarifvertragsgesetz dürfen Arbeitgeber gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften auch unternehmensübergreifende Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel Löhne und Gehaltsbestandteile treffen. Dass dies aufgrund der sozialpolitischen Bedeutung von Tarifverträgen möglich sein muss, hat der Europäische Gerichtshof bereits bestätigt.
Kommentar
No poach-Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern rücken vermehrt in den Fokus internationaler Kartellbehörden. Auch der europäisch behördliche Blickwinkel hat sich verschoben und liegt nicht mehr allein in der Aufdeckung von Preisabsprachen, sondern auch auf dem freien Arbeitsmarktwettbewerb. Auch wenn die meisten Fälle von no poach-Vereinbarungen aufgrund der geografischen Reichweite von nationalen Wettbewerbsbehörden bearbeitet werden dürften, hat die Kommission angekündigt, weiterhin aktiv Fälle in diesem Sektor zu untersuchen und innerhalb des der EU zu koordinieren. Neben hohen Bußgeldern können Unternehmen auch Schadensersatzansprüche ihrer Arbeitnehmer ausgesetzt sein. Insbesondere die kartellbehördliche Bindungswirkung der Bußgeldentscheidungen, dass ein Kartellverstoß stattgefunden hat, vereinfacht eine zivilgerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerade bei Privatpersonen.
Links
Pressmitteilung der Kommission zu Nachprüfungen bei Online-Lieferdiensten für Lebensmittel