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Einleitung
Absprachen im Personalbereich sind ein Trendthema im Kartellrecht. Derartige Absprachen betreffen etwa Vereinbarungen, sich keine Mitarbeiter abzuwerben oder zur Höhe von Gehältern. Die Thematik ist für Unternehmen umso gefährlicher, weil die Handelnden Personen oft nicht wissen, dass die Absprache gegen das Kartellrecht verstößt (man spielt nur "fair"). Die beiden im Folgenden genannten Entscheidungen zeigen, dass die Behörden das Thema verfolgen.
Am 2. Juni 2025 hat die Europäische Kommission (Kommission) ein Bußgeld iHv. EUR 329 Mio. gegen Unternehmen im Bereich der Onlinebestellung von Lebensmitteln verhängt. Parallel dazu sanktionierte die französische Wettbewerbsbehörde (Autorité de la concurrence) Unternehmen aus den Bereichen Ingenieurwesen, Technologieberatung und IT-Dienstleistungen mit einem Bußgeld iHv. ca. EUR 30 Mio. In beiden Fällen wurde den Unternehmen vorgeworfen, Kartellverstöße in dem Personalbereich (sog. no poach Absprachen) begangen zu haben. Die Urteile schließen sich dem im Mai 2024 von der Kommission veröffentlichten policy brief zu no poach-Vereinbarungen an, der solche Personalabsprachen als wettbewerbswidrig einstufte. Die wachsende Bedeutung und der Fokus der internationalen Kartellbehörden wird durch diese beiden Entscheidungen erneut deutlich.
No poach-Vereinbarungen
Personalabsprachen können in unterschiedlichen Formen auftreten, etwa als Gehaltsabsprachen, Nichtanstellungsvereinbarungen, Abwerbeverbote oder durch den Austausch sensibler Personalinformationen. Diese Praktiken können den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt erheblich verzerren, indem sie die Mobilität von Arbeitnehmern einschränken und die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Sobald Unternehmen um Arbeitskräfte konkurrieren, können sie als potenzielle Wettbewerber eingestuft werden, sodass etwaige Absprachen hohe Bußgelder und Schadensersatzansprüche der Mitarbeiter zur Folge haben können. Nähere Informationen dazu finden Sie ebenfalls in unserem ersten Beitrag zu der Thematik no poach - Durchsuchungen im Bereich der wettbewerbswidrigen Vereinbarungen im Personalbereich – Eine Einordnung arbeits- und kartellrechtlicher Risiken für Unternehmen).
Europäische Kommission sanktioniert Lebensmittel-Lieferkartell
Der Fall der Kommission betraf die Vereinbarung von Abwerbeverboten, den Austausch sensibler Geschäftsinformationen sowie Marktaufteilungen durch die Unternehmen Delivery Hero und Glovo. Delivery Hero und Glovo gehören zu den führenden Lebensmittellieferdiensten Europas und sind weltweit tätig. Im Juli 2018 erwarb Delivery Hero zunächst eine Minderheitsbeteiligung an Glovo und erhöhte diese in den Folgejahren schrittweise, bevor das Unternehmen 2022 die vollständige Kontrolle über Glovo übernahm.
Im Rahmen unangekündigter Durchsuchungen der Geschäftsräume der Unternehmen (Dawn-Raids) durch die Kommission im Juni 2022 und November 2023 ergaben sich Hinweise auf kartellrechtswidrige Praktiken. Die Ermittlungen ergaben, dass mit der Beteiligung Delivery Heros an Glovo eine mehrstufige wettbewerbswidrige Koordination zwischen den Unternehmen bestanden habe und unter anderem no poach-Vereinbarungen getroffen worden seien.
Betroffen hiervon seien Vereinbarungen aus Juli 2018, die Nichteinstellungsvereinbarungen beinhalteten. Ziel dieser sei es gewesen, gegenseitig keine Führungskräfte und weitere Schlüsselpersonen des jeweils anderen Unternehmens einzustellen. Darüber hinaus beanstandete die Kommission, dass Delivery Hero im Oktober 2018 ein allgemeines gegenseitiges Abwerbeverbot initiiert habe. Dieses sei nicht auf Führungskräfte beschränkt gewesen und folgte auf einen Versuch von Glovo, Mitarbeiter von Delivery Hero abzuwerben.
Beide vier Jahre anhaltenden Praktiken stufte die Kommission als kartellrechtswidrig ein, weil die Unternehmen durch solche Absprachen nicht mehr um Talente konkurrierten, und so die Auswahl- und Karrierechancen der Mitarbeiter sowie der Anreiz für Wettbewerb und Innovation reduziert werde. Im Rahmen der Festsetzung der Geldbuße iHv. EUR 329 Mio. berücksichtigte die Kommission die Komplexität des Kartells, dass dieses den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum umfasste und über eine lange Dauer mit teils geringerer Intensität bestand. Im Rahmen eines Settlements wurden die Bußgelder um 10 % reduziert.
Französische Behörde ahndet no poach-Praktiken im Technologiesektor
Am 11. Juni 2025 verhängte die französische Wettbewerbsbehörde Bußgelder iHv. EUR 29,5 Mio. gegen Unternehmen in den Bereichen Ingenieurwesen, Technologieberatung und IT-Dienstleistungen. Gegenstand waren auch hier no poach-Vereinbarungen zwischen den Unternehmen Ausy (heute: Randstad Digital) und Alten sowie zwischen Expleo und Bertrandt. Grund der Ermittlungen war ein Kronzeugenantrag des Unternehmens Ausy aus April 2018, der die Behörden auf die Praktiken der Tech-Unternehmen aufmerksam machte. Die durch die Behörde im November 2018 durchgeführten Dawn-Raids bestätigten den Vorwurf. Die Behörde stellte no poach-Kartellverstöße im Rahmen sogenannter Gentlemen's Agreements, also informellen Absprachen, zwischen Ausy und Alten sowie zwischen Bertrandt und Expleo fest. Diese hätten in einem Zeitraum zwischen den Jahren 2007 und 2016 zwischen Ausy und Alten die Vereinbarung beinhaltet, gegenseitig die Einstellung und Abwerbung von Mitarbeitern in Führungspositionen zu unterlassen und sich bei etwaigen Personalwechseln miteinander abzustimmen.
Eine ähnliche Absprache habe zwischen Bertrandt und Expleo von Februar bis September 2018 bestanden. Die Vereinbarung habe sich hier auf die Nichtabwerbung der Mitarbeiter des konkurrierenden Unternehmens sowie auf die Rücksprache im Falle einer spontanen Bewerbung bezogen. Zudem habe es bei den Unternehmen vermehrte Verstöße ihrer Vereinbarung gegeben, die zu einer Kettenreaktion von Misstrauen, Blockierungen und letztlich zur Diskussion über einen „Personal-Krieg“ geführt hätten. In beiden Fällen hätten die Vereinbarungen zeitlich uneingeschränkt gegolten.
Nach Auffassung der französischen Wettbewerbsbehörde zielten die Personalabsprachen im Rahmen der Gentlemen's Agreements darauf ab, die Bezugsquellen der Unternehmen aufzuteilen, und seien nicht mit europäischem und französischen Recht vereinbar. Nach Ansicht der Behörde seien horizontale Beschränkungen, insbesondere im Dienstleistungssektor, in dem qualifizierte Arbeitskräfte einen zentralen Wettbewerbsfaktor darstellten, ein besonders schwerwiegender Wettbewerbsverstoß. Die Behörde erkannte zwar an, dass ein hoher Personalwechsel die Geschäftsabläufe innerhalb eines Unternehmens zwar erheblich stören könne. Es überwiege jedoch der Nachteil, dass solche Praktiken die berufliche Mobilität und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in unzumutbarer Weise einschränkten.
Darüber hinaus untersuchte die Wettbewerbsbehörde Abwerbeverbotsklauseln in Partnerschaftsverträgen zwischen den jeweiligen Unternehmen. Diese Klauseln sahen im Wesentlichen vor, dass jede Partei es unterließ, Mitarbeitern der anderen Partei, unabhängig davon, ob sie an der Erbringung der Leistungen aus den betreffenden Partnerschafts- und Unteraufträgen beteiligt waren oder nicht, Angebote zu unterbreiten. Diese Klauseln hatten alle eine Laufzeit, die über die Laufzeit des betreffenden Vertrags hinausging, und deckten auch Fälle ab, in denen die ursprüngliche Abwerbung durch den Mitarbeiter selbst erfolgte.
Diese Klauseln befand die Behörde allerdings im zulässigen Maße als projektbezogen (gemeinsame Angebotserstellung für einen Endkunden), zeitlich begrenzt und mit Blick auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext ohne wettbewerbswidrigen Zweck. Diese sahen zwar eine Entschädigung für den Fall der Nichteinhaltung der Abwerbeverbotsklausel vor. Der Betrag hatte jedoch weder eine nennenswerte abschreckende Wirkung noch wurden bei festgestellten Verstößen gegen die Abwerbeverbote eine Entschädigung gezahlt. Demnach zielten diese Abwerbeverbote darauf ab, die Parteien vor einer umfangreichen Abwerbung von Mitarbeitern zu schützen, die einem bestimmten Projekt zugewiesen sind und dessen Durchführung beeinträchtigen würden (Organisationsstörungen, Verzögerungen, Kosten usw.), ohne jedoch die punktuelle Einstellung eines Mitarbeiters vollständig zu verhindern.
Kommentar
Die jüngsten Entscheidungen der EU-Kommission sowie der französischen Wettbewerbsbehörde verdeutlichen, dass Wettbewerbsbehörden den Schutz der Arbeitnehmermobilität und fairer Arbeitsbedingungen zunehmend als integralen Bestandteil der Wettbewerbspolitik ansehen. Insbesondere muss hier beachtet werden, dass aus kartellrechtlicher Sicht im Personalbereich die Besonderheit besteht, dass Unternehmen als Wettbewerber zu qualifizieren sind, sobald diese um Arbeitskräfte konkurrieren. Insofern ist kein Konkurrenzverhältnis auf einem Produktmarkt erforderlich, damit ein Wettbewerbsverhältnis angenommen wird.
Links
Europäische Kommission, Competition policy brief - Antitrust in Labour Markets
Europäische Kommission, Pressemitteilung zu Delivery Hero and Glovo
Europäische Kommisison, CASE AT.40795 – FOOD DELIVERY SERVICES
Autorité de la concurrence, Pressemitteilung zu no poach-Entscheidungen
Autorité de la concurrence, Entscheidung vom 11. Juni 2025 25-D-03 (in französischer Sprache)