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Das Thema Unternehmensverbund bleibt eines der umstrittensten und komplexesten Aspekte bei den Corona-Überbrückungshilfen. Im Rahmen unserer täglichen Arbeit erreichen uns immer neue Ausprägungen und Fragestellungen zu diesem Thema. Eine besonders häufige und problematische Konstellation betrifft die Frage, ob die private Vermietung und Verpachtung von Grundstücken oder Betriebsstätten von einem Familienmitglied an ein anderes zum Unternehmensverbund zu rechnen ist.
Die Praxis der Bewilligungsstellen tendiert dazu, Vermietungen im familiären Verbund als Teil eines Unternehmensverbunds anzusehen. Dies führt im Rahmen der Schlussabrechnungen mitunter zu erheblichen Rückforderungen. Mit dem neuen ergänzenden Leitfaden des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vom 19. Juli 2024 haben sich einige wichtige Aspekte in dieser Debatte weiterentwickelt, die einer näheren Betrachtung bedürfen.
I. Unternehmen im beihilferechtlichen Sinne
Die erste grundlegende Frage betrifft die Einordnung der Vermietung oder Verpachtung aus der privaten Vermögensverwaltung als Unternehmen im beihilferechtlichen Sinne.
Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind Unternehmen im EU-Beihilferecht alle Einheiten, die unabhängig von Rechtsform oder Finanzierung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn eine Ware oder Dienstleistung tatsächlich oder potenziell am Markt angeboten wird.
Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese beihilferechtlichen Begriffe von steuerrechtlichen Konzepten unterscheiden. Der umsatzsteuerliche Unternehmensbegriff nach § 2 Abs. 1 UStG knüpft an das Ausüben einer selbstständigen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit an. Vermietungen und Verpachtungen aus der privaten Vermögensverwaltung gelten steuerrechtlich in der Regel nicht als gewerblich, sofern keine geschäftsmäßige Organisation besteht.
In den ursprünglichen Antragsverfahren haben viele Steuerberater den engeren umsatzsteuerlichen Begriff zugrunde gelegt und private Vermietungen von einem Familienmitglied an ein anderes nicht als relevante unternehmerische Tätigkeit eingestuft. In den Schlussabrechnungsverfahren fordern nun jedoch viele Bewilligungsstellen große Teile der Förderungen zurück, da sie den weiteren Unternehmensbegriff des EU-Beihilferechts anwenden.
Diese Praxis hat sich insbesondere bei der IHK für München und Oberbayern, der L-Bank Baden-Württemberg und der IFB Hamburg etabliert. Diese Behörden sehen in der Vermietung von Grundstücken oder Betriebsstätten aus der privaten Vermögensverwaltung grundsätzlich eine marktgängige Tätigkeit, die im Rahmen eines potenziellen Unternehmensverbunds zu berücksichtigen ist.
Diese Verwaltungspraxis ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Würde man konsequent jegliche private Vermietung unter das EU-Beihilferecht fassen, hätte dies weitreichende Konsequenzen: Sämtliche staatlichen Förderungen für private Vermieter, beispielsweise für energetische Sanierungen oder Erneuerungen von Heizungsanlagen, müssten dann gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV bei der EU-Kommission notifiziert und deren Genehmigung abgewartet werden. Dies erscheint praktisch kaum umsetzbar und widerspricht der bisherigen Förderpraxis.
Der neue Leitfaden des BMWK bleibt hier vage. Offenbar soll es immer auf den Einzelfall ankommen. Wir raten daher zu einer anwaltlichen Prüfung, ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt.
Es bestehen also gute Gründe, die überwiegende Verwaltungspraxis der Bewilligungsstellen rechtlich anzugreifen. Eine abschließende gerichtliche Klärung steht derzeit noch aus.
II. Unternehmensverbund
Selbst wenn man die private Vermietung als Unternehmen im beihilferechtlichen Sinne einstuft, stellt sich im nächsten Schritt die Frage der Einordnung in einen Unternehmensverbund.
Nach den FAQ zu den Überbrückungshilfen gelten für verbundene Unternehmen besondere Antragsvoraussetzungen, insbesondere dass solche Unternehmen nur einen gemeinsamen Antrag für alle verbundenen Unternehmen stellen dürfen. Der Begriff des Unternehmensverbunds richtet sich nach der EU-Definition aus Anhang I Artikel 3 Absatz 3 VO (EU) Nr. 651/2014.
Demnach gelten unter anderem solche Unternehmen als verbunden, die durch eine natürliche Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in Beziehung stehen, sofern diese Unternehmen ganz oder teilweise auf demselben Markt oder auf benachbarten Märkten tätig sind (Unterabschnitt 4 von Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) NR 651/2014). Als "benachbarter Markt" gelten nach der EU-Definition solche Märkte für Waren oder Dienstleistungen, die dem betreffenden Markt unmittelbar vor- oder nachgeschaltet sind.
Die meisten Bewilligungsstellen sehen die Vermietung von Grundstücken oder Betriebsstätten als unmittelbar vorgeschaltete Dienstleistung und mithin als Tätigkeit auf benachbarten Märkten an, da diese eine essenzielle Betriebsgrundlage darstelle. Im Ergebnis wird die Vermietung aus der privaten Vermögensverwaltung im familiären Verbund, auch wenn keine sonstige betriebliche oder wirtschaftliche Verbindung besteht, zu dem antragstellenden Unternehmen gerechnet.
Auch das ist im Einzelfall genau zu prüfen und anhand des Einzelfalls zu argumentieren, ob diese Rechtsansicht korrekt ist.
III. Neuer BMWK-Leitfaden vom 19. Juli 2024
Der neue ergänzende Leitfaden des BMWK vom 19. Juli 2024 bringt einige wichtige Klarstellungen in dieser Debatte:
1. Keine unwiderlegbare Vermutung bei familiären Verbindungen
Der Leitfaden stellt klar, dass enge familiäre Verbindungen nur "grundsätzlich" als ausreichend für die Schlussfolgerung gelten, dass natürliche Personen gemeinsam handeln. Dies lässt Raum für Ausnahmen und widerlegt die bisher von einigen Bewilligungsstellen vertretene Ansicht einer unwiderlegbaren Vermutung.
2. Ermessensspielraum bei atypischen Fällen
Besonders wichtig ist die Klarstellung des BMWK, dass "innerhalb einer Verwaltungspraxis auch Raum für die Berücksichtigung atypischer Fälle vorhanden sein muss, die eine abweichende Entscheidung erforderlich machen können." Dies eröffnet die Möglichkeit, in begründeten Einzelfällen von der Annahme eines Unternehmensverbunds abzusehen. Hier sollte anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden, um das Bestehen eines solchen Einzelfalls zu prüfen.
3. Differenzierte Betrachtung von Vermietungskonstellationen
Der Leitfaden geht speziell auf Vermietungskonstellationen ein und deutet an, dass eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist. Es soll darauf ankommen, ob die Vermietung einen wirtschaftlichen Schwerpunkt darstellt oder dem privaten Vermögensbereich zuzuordnen ist. Dies lässt Raum für eine einzelfallbezogene Beurteilung.
4. Konsolidierung in der Schlussabrechnung
Der Leitfaden sieht vor, dass in Fällen, in denen ein Unternehmensverbund im Antragsverfahren nicht korrekt erklärt wurde, eine Konsolidierung im Rahmen der Schlussabrechnung möglich ist. Dies soll eine Ablehnung und Rückforderung der gewährten Hilfe vermeiden.
IV. Kritische Würdigung und Handlungsempfehlungen
Die neue Leitlinie des BMWK ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie mehr Flexibilität und Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht. Allerdings bleiben einige Aspekte unklar und bieten Raum für Interpretation:
- Die Abgrenzung zwischen "typischen" und "atypischen" Fällen ist nicht eindeutig definiert. Hier besteht die Gefahr einer uneinheitlichen Verwaltungspraxis.
- Die Kriterien zur Beurteilung, ob eine Vermietung einen "wirtschaftlichen Schwerpunkt" darstellt, sind nicht klar umrissen. Dies könnte zu Rechtsunsicherheit führen.
- Es bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Bewilligungsstellen diese neuen Leitlinien in der Praxis umsetzen werden.
Für betroffene Unternehmen und ihre Berater ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:
- Prüfen Sie kritisch, ob die private Vermietung tatsächlich als unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Beihilferechts einzustufen ist. Argumentieren Sie gegebenenfalls dagegen. Nehmen Sie anwaltliche Hilfe in Anspruch.
- Machen Sie von der Möglichkeit Gebrauch, einen atypischen Fall darzulegen. Sammeln Sie dafür stichhaltige Argumente, die gegen ein gemeinsames Handeln oder eine wirtschaftliche Verflechtung sprechen. Auch hier raten wir zur anwaltlichen Hilfe.
- Bei Vermietungskonstellationen sollten Sie detailliert darlegen, warum es sich um private Vermögensverwaltung und nicht um eine schwerpunktmäßig wirtschaftliche Tätigkeit handelt.
- Nutzen Sie die Möglichkeit der Konsolidierung in der Schlussabrechnung, falls der Unternehmensverbund im Antragsverfahren nicht korrekt angegeben wurde.
- Legen Sie gegen negative Bescheide Widerspruch ein und scheuen Sie sich nicht, den Rechtsweg zu beschreiten. Die Rechtslage ist in vielen Aspekten noch ungeklärt, und es bestehen gute Chancen, vor Gericht eine günstigere Auslegung zu erstreiten.
Fazit
Das Thema Unternehmensverbund bei den Corona-Überbrückungshilfen bleibt komplex und umstritten. Der neue BMWK-Leitfaden bringt zwar mehr Flexibilität, lässt aber auch viele Fragen offen. Es ist zu erwarten, dass sich in den kommenden Monaten durch Gerichtsentscheidungen und weitere behördliche Konkretisierungen eine klarere Linie herausbilden wird. Bis dahin ist es für betroffene Unternehmen und ihre Berater wichtig, die Entwicklungen genau zu verfolgen und ihre Rechte aktiv wahrzunehmen.