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Weitere Informationen: Corona-Überbrückungshilfen
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Die Corona-Überbrückungshilfen stellten ein beispielloses Förderprogramm zur Unterstützung von Unternehmen während der Pandemie dar. Mit einem Gesamtvolumen von über 71 Milliarden Euro für die Jahre 2020 bis 2022 übertraf dieses Programm in seiner Dimension alle bisherigen staatlichen Förderprogramme. Ein zentrales Element dieser Hilfen ist die Schlussabrechnung, die von den Empfängern der Förderung einzureichen ist.
Doch was passiert, wenn Unternehmen diese Schlussabrechnung nicht fristgerecht zum 30.09.2024 einreichen? Droht in diesem Fall eine automatische und vollständige Rückforderung aller erhaltenen Hilfen? Und wäre eine solche Rückforderung rechtmäßig und verhältnismäßig? Diese Fragen stellen sich aktuell viele Unternehmen und ihre steuerlichen Berater.
1. Grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Fristsetzung
Zunächst ist festzuhalten, dass die Setzung einer Frist für die Einreichung der Schlussabrechnung grundsätzlich rechtmäßig ist. Die Schlussabrechnung dient dazu, die tatsächliche Förderberechtigung und -höhe auf Basis der realen Geschäftszahlen zu ermitteln. In den FAQ zur Schlussabrechnung heißt es dazu:
"Im Rahmen der Schlussabrechnung wird nun anhand der tatsächlich erzielten Umsätze und förderfähigen Fixkosten in den Förderzeiträumen das Vorliegen der Antragsberechtigung dem Grunde nach noch einmal geprüft und die endgültige Höhe der Billigkeitsleistungen final bestimmt."
Diese nachträgliche Prüfung ist notwendig, da die ursprünglichen Anträge auf Prognosen und Schätzungen basierten. Eine Fristsetzung für diesen Prozess ist somit ein legitimes Mittel, um das Verfahren zu strukturieren und abzuschließen.
2. Ablauf der ursprünglichen Frist am 31.10.2023
Es ist wichtig zu betonen, dass die ursprüngliche Frist zur Einreichung der Schlussabrechnungen bereits am 31.10.2023 ablief. Dies geht aus den offiziellen Informationen des Bundes hervor.
Der Zeitpunkt, zu dem die Schlussrechnungen einzureichen sind, lässt sich den jeweiligen FAQs des Bundes entnehmen:
- Corona-Hilfe Stichtag
- Überbrückungshilfe I 31. Oktober 2023*
- Überbrückungshilfe II 31. Oktober 2023*
- Überbrückungshilfe III 31. Oktober 2023*
- Überbrückungshilfe III Plus 31. Oktober 2023*
- Überbrückungshilfe IV 31. Oktober 2023*
- November- und Dezemberhilfe 31. Oktober 2023*
*auf Antrag in Einzelfällen bis 30. September 2024.
3. Fristverlängerung bis zum 30.09.2024
Unternehmen hatten die Möglichkeit, über ihre prüfenden Dritten eine Fristverlängerung bis zum 30.09.2024 zu beantragen. Diese Verlängerung war jedoch nicht automatisch, sondern musste aktiv beantragt werden. Man kann hier von einer Art "Selbstmahnung" sprechen, da die Unternehmen durch den Antrag auf Fristverlängerung signalisierten, dass sie die ursprüngliche Frist nicht einhalten konnten, aber die Schlussabrechnung nachreichen wollen.
4. Konsequenzen bei Nichteinreichung zum 30.09.2024
Wenn nun zum 30.09.2024 keine Schlussabrechnung eingereicht wurde, steht den Bewilligungsstellen grundsätzlich die Möglichkeit offen, im Oktober 2024 oder später automatisch alle erhaltenen Hilfen zurückzufordern. Diese Vorgehensweise basiert auf der Logik, dass ohne Schlussabrechnung die endgültige Förderberechtigung und -höhe nicht festgestellt werden kann.
Hierzu wurde von Bewilligungsstellen sinngemäß kommuniziert:
"Wer keine Schlussabrechnung bis zum 31. Oktober 2023 eingereicht oder kein Organisationsprofil angelegt und Fristverlängerung beantragt hat, hat noch eine „Gnadenfrist" bis zum 31. Januar 2024 erhalten, um das nachzuholen. Danach werden unmittelbar Rückforderungsbescheide verschickt."
Obwohl sich diese Aussage auf die ursprüngliche Frist bezieht, lässt sich daraus ableiten, dass die Bewilligungsstellen auch nach Ablauf der verlängerten Frist am 30.09.2024 ähnlich vorgehen könnten. Nach unserer Kenntnis erfolgte der zu erwartende Massenversand von Rückforderungsbescheiden bei fehlendem Organisationsprofil bis 8. September 2024 nicht.
5. Erfahrungen bei der Neustarthilfe und Rechtsprechung des VG Würzburg
Die Erfahrungen bei der Neustarthilfe geben einen Einblick in die mögliche Handhabung von Fristversäumnissen. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat in einem Urteil vom 8. Juli 2024 (Az. W 8 K 24.111) die strikte Handhabung der Frist bestätigt. Die Kernpunkte dieser Entscheidung waren:
- Die Neustarthilfe ist als Billigkeitsleistung ohne Rechtsanspruch ausgestaltet.
- Maßgeblich ist die Verwaltungspraxis der Behörde.
- Die Frist zur Einreichung der Endabrechnung gilt als materielle Ausschlussfrist.
- Eine Wiedereinsetzung oder Nachsichtgewährung ist nicht vorgesehen.
- Die Rückforderung des ausgezahlten Betrags ist rechtmäßig.
Das Gericht führte sinngemäß aus:
"Die rechtzeitige Einreichung der Endabrechnung sei zwingende Voraussetzung der Förderung und der Vermeidung einer vollständigen Rückerstattung. Eine solche Fristsetzung diene der Strukturierung und Beschleunigung des Verfahrens. Rechtlich sei diese nicht zu beanstanden."
Diese Entscheidung lässt sich möglicherweise auf die Überbrückungshilfen übertragen, was die Position der Bewilligungsstellen bei Fristversäumnissen stärken würde.
6. Rechtliche Ansatzpunkte für eine Verteidigung
Trotz der strengen Handhabung der Fristen gibt es rechtliche Ansatzpunkte für eine Verteidigung gegen Rückforderungen. Diese sind jedoch mit erheblichen Risiken verbunden:
a) Materielle Ausschlussfrist: Die Grundsatzfrage wird sein, ob der 30.9.2024 (und vorher der 31.10.2023) wirksam als materielle Ausschlussfrist rechtlich definiert wurde, mit der Folge, dass auch nachträglich eingereichte Schlussabrechnungen nicht mehr akzeptiert werden können. Das VG Würzburg mag dies in Bayern für die Neustarthilfe erstinstanzlich bestätigt haben, doch das letzte Wort ist hier nicht gesprochen. Wir werden hier als Kanzlei umfassende verfassungsrechtliche Argumente für betroffene Mandanten ausarbeiten, um uns gegen die Ausschlusswirkung dieser Frist zur Wehr zu setzen.
b) Verhältnismäßigkeit: Es könnte argumentiert werden, dass eine vollständige Rückforderung aller Hilfen aufgrund eines Fristversäumnisses unverhältnismäßig ist, insbesondere wenn die materielle Förderberechtigung gegeben war.
c) Gleichbehandlungsgrundsatz: Falls nachgewiesen werden kann, dass in vergleichbaren Fällen keine Rückforderung erfolgte, könnte ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend gemacht werden.
d) Formelle Fehler: Es sollte geprüft werden, ob die Behörde alle formellen Anforderungen bei der Rückforderung eingehalten hat.
Dennoch muss betont werden, dass diese Ansatzpunkte mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden sind. Es ist noch völlig offen, wie die Rechtsprechung entscheiden wird.
7. Notwendigkeit eines Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens
Trotz der rechtlichen Risiken kann ein Widerspruchs- bzw. Klageverfahren aus mehreren Gründen notwendig oder sinnvoll sein:
a) Aufschiebende Wirkung: Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass die Rückforderung zunächst nicht vollstreckt werden kann.
Diese aufschiebende Wirkung kann für Unternehmen von großer Bedeutung sein, da sie Zeit gewinnen, um die finanzielle Situation zu klären oder möglicherweise doch noch eine Schlussabrechnung einzureichen. Klageverfahren in der 1. Instanz können bis zu zwei oder sogar drei Jahre in Anspruch nehmen, die zweite Instanz noch einmal so lange.
b) Inanspruchnahme des Steuerberaters: Aus Sicht der Unternehmen kann die Einleitung eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens gegen Rückforderungsbescheide der Überbrückungshilfen eine notwendige Maßnahme sein, um ihre rechtlichen Interessen gegenüber ihren Steuerberatern zu wahren. Dies ist besonders relevant in Fällen, in denen der Steuerberater als prüfender Dritter versäumt hat, die erforderliche Schlussabrechnung fristgerecht einzureichen.
Wenn ein Unternehmen aufgrund einer nicht eingereichten Schlussabrechnung mit Rückforderungen konfrontiert wird, könnte es den Steuerberater für den entstandenen Schaden haftbar machen wollen. Um diese Möglichkeit zu bewahren, könnte es wichtig sein, dass das Unternehmen zunächst alle rechtlichen Mittel gegen den Rückforderungsbescheid ausschöpft.
Durch die Einlegung eines Widerspruchs oder einer Klage stellt das Unternehmen sicher, dass die Haftpflichtversicherung des Steuerberaters sich später nicht darauf berufen kann, dass versäumt wurde, gegen die Bescheide vorzugehen. Dies könnte sonst als Obliegenheitsverletzung gewertet werden und dazu führen, dass die Versicherung eine Deckung des Schadens ablehnt.
Indem das Unternehmen rechtliche Schritte einleitet, hält es sich also alle Optionen offen. Sollte das Verfahren gegen die Behörde erfolglos bleiben, hat das Unternehmen immer noch die Möglichkeit, den Steuerberater in Regress zu nehmen und Schadensersatzansprüche geltend zu machen (auf Verjährung achten).
Somit dient die Einleitung eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens nicht nur der unmittelbaren Abwehr der Rückforderung, sondern auch der Sicherung möglicher Regressansprüche gegen den Steuerberater. Dies ist ein wichtiger Schritt für Unternehmen, um ihre finanziellen Interessen umfassend zu schützen.
c) Klärung offener Rechtsfragen: Ein Gerichtsverfahren kann dazu beitragen, offene Rechtsfragen zu klären und möglicherweise eine für die Unternehmen günstigere Rechtsprechung zu erwirken.
8. Empfehlung zur Kontaktaufnahme mit einem Anwalt
Angesichts der komplexen rechtlichen Situation und der potenziell schwerwiegenden finanziellen Folgen ist es in jedem Fall ratsam, bei Fristversäumnissen oder drohenden Rückforderungen Kontakt mit einem spezialisierten Anwalt aufzunehmen.
9. Fazit
Die Nichteinreichung der Schlussabrechnung zum 30.09.2024 kann schwerwiegende Konsequenzen haben, bis hin zur vollständigen Rückforderung aller erhaltenen Corona-Überbrückungshilfen. Während die Behörden und Gerichte tendenziell eine strikte Auslegung der Fristen befürworten, gibt es dennoch rechtliche Ansatzpunkte für eine Verteidigung.
Unternehmen und prüfende Dritte sollten sich der Risiken bewusst sein und alles daran setzen, die Schlussabrechnung fristgerecht einzureichen. Sollte dies nicht möglich sein, ist eine umgehende rechtliche Beratung dringend anzuraten. Ein Widerspruchs- oder Klageverfahren kann trotz der Risiken sinnvoll sein, sei es zur Nutzung der aufschiebenden Wirkung, zum Schutz vor Haftungsansprüchen oder zur Klärung offener Rechtsfragen.